5 Kontakte, Übersicht

Kontakte mit Nachkommen von jüdischen Familien aus Chemnitz, die in jetzt in den USA oder in Deutschland leben, Übersicht:

Bekannte Kontakte,
Familie
Country Dokumente
in Kapitel
Ascher USA 1,2
Lantzsch USA 3
Reiter Deutschland 4
Neue Kontakte,
Familie
Country Dokumente
in Kapitel
Blaustein USA 5a
Diamant Deutschland 5b
Bodik USA 5c
Goldman USA
Gossels USA 5d
Heumann USA 5e
Hillmann USA
Moerdler USA
Nussberg USA, Israel 5f
Scharlach USA
Stein   USA

Die Anregung zur Nachforschung in der ersten Gruppe der Kontakte (Kapitel 1 - 4) stammt hauptsächlich von den Herren Dr. Siegfried Mampel, Dr. Benno Kirsch, und Benedikt Maria Muelder, sowie deren Recherchen und Veröffentlichungen.

Die Namen der zweiten Gruppe findet man in dem Werk "Juden in Chemnitz" von Nitsche und Röcher. Zusätzlich hat sich Herr Dr. Jürgen Nitsche sehr bemüht, Spuren, Hinweise und Adressen zu finden. Herr Tilo Richter hat selbst und durch sein Chemnitzer Buch "Der Kassberg" beigetragen, ebenso wie Herr Dr. Adolf Diamant mit seinem Buch über die Chemnitzer jüdische Gemeinde. Ohne die Hilfe all dieser Historiker und Publizisten hätte ich diese Familien, die Geschäfte in Chemnitz hatten, und deren Nachkommen, nicht finden können.

Keiner der jüdischen Nachkommen in der zweiten Gruppe kannte den Namen Dr. Walter Linse oder seine Rolle in der Chemnitzer Handelskammer (IHK). Eine Entlastung von Dr Linse wäre also nur indirekt: Walter Linse ist nicht bekannt als ein Nazi-Täter oder -Verbrecher, wie ihn seine Kritiker sehen möchten.

Generell zeigen die Akten ein ernstes Bemühen von Linse um einen fairen Verkauf der jüdischen Betriebe und Kompensation für die Eigentümer. Er stand dabei gegen die Kräfte und Gesetze, die Juden einfach benachteiligen, beleidigen und vertreiben wollten. Manchmal konnte Linse den Opfern helfen, oder Gesetze kritisieren. Man darf nicht erwarten, dass Linse offen in seinen Akten davon berichtet. Man muss suchen, oder solche Beispiele sehen "wollen". (Details siehe Kapitel 5 a - e, sowie weitere Beispiele im gesamten Kapitel 6) 

In den Gesprächen und der Korrespondenz mit den Nachkommen in USA und in Deutschland trat mein eigentlicher Beweggrund, weitere Indizien zu finden, die Walter Linse entlasten, oder auch belasten würden, in den Hintergrund. Das Schicksal der Opfer der Judenverfolgung ist so unvorstellbar tragisch und grausam, und durchbricht alle Normen und Moral des Lebens, dass es jegliche andere Gedanken überschattet. Meine genauen Fragen darüber, und manchmal auch mein Wissen, wurden von den Betroffenen ehrlich begrüsst. Die Nachkommen, meine neuen Bekannten oder gar Freunde, teilten mir gerne mit was sie wissen. Aus dem ehrlichen gegenseitigen Interesse wachsen neue Sympathien. Fast immer gibt es Tränen, auf beiden Seiten, ... und die verbinden. Mein Dank gilt all denen, die sich noch einmal mit mir an die schrecklichen Zeiten erinnert haben.

Peter Seifert

p.s.: Ich möchte die Kontaktadressen hier nicht veröffentlichen, damit die Privatsphäre dieser Personen geschützt bleibt. Falls ein Leser selbst Verbindung zu dem einen oder anderen Nachkommen aufnehmen möchte, bin ich gerne behilflich und bitte um Email-Anfrage via "About" auf dieser Webseite

5a Familie Tobias Blaustein

Die Familie Tobias Blaustein lebte in Chemnitz. Herr Blaustein war mit einer "Arierin" verheiratet, und arbeitete als Statistiker, bis er Mitte der dreissiger Jahre seinen Beruf aufgeben musste. Danach arbeitete er freiberuflich, an Buchhaltungsaufgaben für jüdische Betriebe.  Die Familie hatte drei Kinder.

Obwohl in Mischehe wurde Herr Blaustein nach der Kristallnacht verhaftet und musste nach Buchenwald.  Vielleicht wegen des mutigen Auftretens seiner Frau bei der Gestapo wurde er entlassen, musste aber in ein Arbeitslager in Bielefeld. Dort wurde er wiederum durch Frau Blaustein vor Deportation geschützt und die Familie überstand Krieg und Nazizeit.

Nach dem Krieg liessen sich Herr und Frau Blaustein in Frankfurt am Main nieder, aber alle drei Kinder  wanderten  unabhängig voneinander nach USA aus und begannen ein neues Leben.

Herr Benjamin Blaustein, Tobias' Vater, betrieb ein Altwarengeschäft, wanderte aber schon 1933 nach Palästina aus. Das Geschäft war aber im Handelsregister eingetragen als "arisiert 1939". Es ist es nicht klar, wie das Geschäft zwischen 1933 und 1939 weitergeführt wurde, oder von wem.

In den USA haben wir eine Dame der Familie persönlich kennengelernt. Sie schrieb, dass sie und ihre Familie den Namen Dr. Linse nicht kennen und dass sie keine Unterlagen oder Memoiren über Kontakt mit der Handelskammer haben.

5b Herr Dr. Adolf Diamant

Adolf Diamant wurde 1924 in Chemnitz geboren. 1938 wurde er wegen seines jüdischen Glaubens von der Schule verwiesen, ein Jahr später folgte die Zwangsumsiedlung ins Ghetto des polnischen Lodz. 1944 wurde die Familie Diamant in das KZ Auschwitz deportiert; beide Eltern fanden dort den Tod. Adolf Diamant musste dann als Zwangsarbeiter bei Büssing in Braunschweig arbeiten, wo er Anfang 1945 durch Amerikaner befreit wurde.

Nach Kriegsende blieb Herr Diamant zunächst in Deutschland und besuchte auch Chemnitz. Er meldete sich 1948 freiwillig für den israelischen Befreiungskrieg, kehrte aber Anfang der 50er Jahre nach Deutschland zurück. 1970 erschien seine „Chronik der Juden in Chemnitz“; später folgten weitere solche Chroniken.

Im Jahre 1987 wurde Herr Dr. Diamant von Bundespräsident  v. Weizsäcker mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Später erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Im August 2007 rief ich Herrn Dr. Diamant in Frankfurt an und konnte kurz mit ihm über "Chronik der Juden in Chemnitz" sprechen. Da sein Vater Hermann Diamant einen kleinen Textilhandel (Zschopauerstr. 47) betrieben hatte, fragte ich, ob die Familie vielleicht den Herrn Dr. Walter Linse von der Handelskammer Chemnitz kenne. Die Antwort: "Nein, kenne ich nicht, den Namen habe ich nie gehört". Mich hat diese Antwort nicht erstaunt, denn der Name Linse taucht auch nicht in der Chronik auf.

In diesem Fall wird Linse also nicht belastet, obwohl Vater H. Diamant auf einer  IHK-Liste (1938)  von jüdischen Betrieben erscheint. Im Gegenteil, die betroffene Familie kennt Dr. Linse nicht, und Herr Dr. Diamant, nach all seinen Nachforschungen, kennt weder die Person noch den Namen. Wenn Linse schuldig gewesen wäre, hätte Herr Dr. Diamant das sicherlich erfahren oder davon gewusst.

Das Schicksal der Familie Diamant ist unvorstellbar grausam und es muss Deutsche gegeben haben, die dafür schuldig sind. Es ist aber nicht Dr. Walter Linse.

5c Familie Zala Bodik

Herr Zala Bodik erscheint auf der IHK Liste von 1938 mit einem Geschäft für Strumpf- und Handschuh-Waren, Chemnitz, Kurt Guenther Str. 19.

Herr Bodik (geb. 1885) muss nach der Kristallnacht 1938 mit etwa 200 Leidensgefährten in das KZ Buchenwald. Einzelheiten darüber sind mir nicht bekannt. Man kann annehmen, dass er Herrn Gilel Reiter, da ähnlichen Alters, im KZ gekannt hat, und dass er die unmenschliche Behandlung, wie von Alfred Ascher beschrieben, miterlebt hat. Zala Bodik starb 1940 in Chemnitz und wurde im jüdischen Friedhof beigesetzt.

Sein Sohn Joachim (geb. 1927) muss noch im Februar 1945 mit einem Transport nach Theresienstadt und wird im April von den sowjetischen Truppen befreit. Er war also dort mit den Brüdern Joachim und Horst Reiter; sie kannten sich aber nicht gegenseitig. Das Buch Juden in Chemnitz von Nitsche und Röcher enthält eine Liste der abtransportierten Menschen - und deren Verbleib. Daraus war erkenntlich, dass Herr Joachim Bodik schon 1949 nach USA ausgewandert ist.

Ich habe ihn (Joachim) und seine Frau im Jahre 2008 hier gefunden, mit ihnen gesprochen und korrespondiert. Sie wohnten in der Nähe von New York City. Herr Bodik war schon sehr geschwächt durch Parkinson-Krankheit, aber auch er hat mit mir gesprochen. Beide haben sich für meine Anteilnahme bedankt und Herr Bodik war bereit noch einmal an die schlimme Zeit in Chemnitz zu denken. Das war sehr schwer für ihn. Schliesslich schrieb Frau Bodik und wünschte mir guten Erfolg in dem Streben, die Wahrheit zu finden und die Ehre meines Onkels schützen.

Herr Bodik kannte den Namen Dr. Linse nicht, hat ihn auch nicht gehört.

Das Bild um den Onkel rundet sich aus: Dr. Linse kann keine Aktivistenrolle bei der "Entjudung" der Chemnitzer Wirtschaft gespielt haben. Anderenfalls wäre er als Nazi bekannt und verrufen gewesen.

5d Familie Gossels

Karl Gossels (1907 - 1978) hatte 1927 einen Bekeidungs Grosshandel PreCo in Chemnitz gegründet, offenbar benannt nach dem Geburtsnamen seiner Frau, Erna Preczep. Das Geschäft ging gut und war im Handelsregister eingetragen. Es erschien auch auf der Liste jüdischer Unternehmen der Handelskammer und musste gemäss der damaligen Verordnungen an arische Eigentümer verkauft werden.

Das klingt einfach und fast geschäftsmässig - bis man realisiert, dass Karl Gossels in der Kristallnacht verhaftet und auch nach Buchenwald gebracht wurde ( Buch: "Juden in Chemnitz", Seite 475). Er hat dort die Hölle erlebt, wie wir sie von Aschers, Reiters, Bodiks und anderen Seiten her kennen. 

Nach seiner Entlassung (Eine Hilfe dabei von Dr. Linse ist nicht dokumentiert) sprach Herr Gossels wahrscheinlich mit Dr. Linse und dieser fand einen qualifizierten Käufer für das Geschäft. Dabei hat sich Linse für einen gerechten Kaufpreis, zum Beispiel in einer fairen Bewertung des Lagerbestandes und des Inventars eingesetzt.  Der Verkauf fand Anfang 1939 statt, worauf das Ehepaar Gossels mit der vierjährigen Tochter Hannah Ruth nach USA auswandern konnte.

Leider starben Frau und Tochter Gossels zeitig. Herr Gossels heiratete wieder  aber sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Nach unseren Informationen existieren auch keine Aufzeichnungen von ihm.

Eine Kopie eines Durchschlages des vierseitigen Briefes der IHK an den Regierungspräsidenten zu Chemnitz ist öffentlich zugänglich *. Der Brief kommentiert den Kaufvertrag zwischen Gossels und dem Käufer und zeigt, dass sich Linse um faire Kompensation für Herrn Gossels bemüht hat. Zum Beispiel hat Linse verlangt, dass das Inventar nicht kostenfrei an den Käufer übergehen dürfe. Vielmehr solle der Wert des Inventars durch einen Richter geschätzt und vom Käufer bezahlt werden.

Viele dieser Einzelheiten stammen von einem informierten Nachkommen der weiteren Familie. Sollte ein Leser Kontakt mit diesem Herrn wünschen, wende man sich bitte an Peter Seifert via "Contact Us", zur Weiterleitung der Anfrage.

*  Öffentlich zugänglich:  Staatsarchiv Chemnitz,  30874 Blatt 283 - 286.
Sollte jemand an einer Kopie interessiert sein, wende man sich bitte per email an mich, via "About"

5e Familie Carl Israel Heumann

Herr Thomas Heumann hat die Familie seines Vaters Carl Isreal in dem Buch "Der Kassberg" * vorgestellt. Der Vater war jüdisch, dessen Frau arisch, beide waren deutsche Staatsbürger. Trotzdem musste sich Herr Carl Heumann von der Bank trennen, bei der er langjähriger Teilhaber war. Wie aus einer Aktennotiz von Dr. Linse hervorgeht, ist Herr Heumann damals (1939) materiell voll entschädigt worden.

Trotzdem konnte Herr Carl Heumann die Unvernunft und Grausamkeit des Naziregimes nicht verstehen und er zog sich immer mehr vom Leben zurück. Unglück und Unsicherheit wuchsen als seine Frau erkrankte und starb. Die Kinder durften nicht studieren, wurden aus der Oberschule ausgeschlossen, und beide Söhne wurden in NaziArbeitslager geschickt, obwohl sie aus eine Mischehe stammten.

Schliesslich, am fünften März 1945, Herr Heumann wohnte immer noch in seiner Villa an der Reichstrasse in Chemnitz, kam er tragisch beim Alliierten Bombenangriff ums Leben.

Nach den Krieg entkamen die drei Kinder in den Westen und nach entbehrungs-reichen Jahren bauten sie ihre eigenen Leben neu, in der Schweiz und in den USA.

Mit der Hilfe von Tilo Richter fand ich zwei von Heumanns Kindern in USA. Wir lernten uns kennen und reflektierten zusammen über unsere Familienschick-sale. Meine Grosseltern Heymann (seit 1942 die Schwiegereltern von Dr. Linse) wohnten auch an der Reichstrasse, etwa einen halben Kilometer entfernt von Heumanns. Ihre Wohnung und Habseligkeiten verbrannten auch, in der gleichen Nacht. Es stellte sich heraus, dass die beiden Familien, Heumann und Heymann einander kannten - sodass wir Nachkommen nun diese Bekanntschaft erneuern konnten.

* Dr. Tilo Richter, Der Kassberg, siehe Literatur

5f Familie Nussberg

Bei der Suche im Internet  fand ich 2012 zwei Mitglieder der Grossfamilie Nussberg. Sie leben in Tel Aviv und in Washington DC, USA. Sie berichten, dass mehrere ihrer jüdischen Vorfahren etwa 1908 aus Polen nach Chemnitz kamen und dort kleine Unternehmen der Strumpfherstellung und des Verkaufes gründeten.

Oskar (Osias) Nussberg wanderte schon 1936 nach Israel aus. Es ist nicht klar, ob oder wie sein Geschäft weitergeführt wurde - vielleicht von den verbleibenden Nussberg Mitgliedern, Samuel und/oder Jakob. Eine Enkelin von Oskar Nussberg lebt in Tel Aviv.

Samuel Nussberg  registrierte 1938 eine Strumpffabrikation in Chemnitz, Kurt-Günther-Straße 27. Diese wurde aber schon 1939 wieder gelöscht, im Zuge der von Nazis verordneten Liquidationen. Herr Samuel Nussberg traf auch Dr. Linse, der in einer Aktennotiz die Auflösung des Betriebes und dessen verbleibendes Barvermögen bestätigt (siehe doc 6b). Er und seine Familie waren gemäss Nazi-Verordnung (aber nicht durch Linse) nach Polen ausgewiesen worden. Sie mussten schliesslich nach Auschwitz, dann weiter nach Osten, sind dort ermordet worden (Diese ungeheure Nachricht darüber kam von den überlebenden Mitgliedern der Grossfamilie Nussberg).

Jakob (Jankiel) Nussberg hatte eine Strumpffabrikation in Chemnitz, Kurt-Günther-Straße 22 und einen Grosshandel in Meerane. Letzterer wurde verkauft, die Strumpffabrikation aber liquidiert. Dr. Linse hat den Kaufvertrag begutachtet und Auflagen empfohlen, die den Nettoerlös für Herrn Nussberg erhöht haben : Der Wert des Inventars müsse geschätzt und vergütet werden, ebenso das Warenlager mit 50% des VER-kaufspreises* der Ware. Die Aussenstände seien vom Käufer einzuziehen, gegen eine Provision von 5%. Alles waren kaufmännisch faire Vorgaben. Die Familie Jankiel Nussberg entkam 1939 nach Belgien, überlebte dort die Nazi-Besetzung und wanderte nach dem Krieg in die USA aus. Eine Tochter wohnt in Washington, DC.  (Siehe doc 6L)

Beide Damen waren mit der Familiengeschichte sehr gut bekannt. Sie wussten aber nicht von Dr. Linses Rolle im Schicksal der Nussbergs. Sie besitzen auch keine Aufzeichnungen, Memoiren oder ähnliche Dokumente darüber. Linse wird also nicht belastet, und somit kann man seinen positiven Einfluss, den man in den IHK Akten sieht, gelten lassen.   

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* Ein Kritiker spricht von Linse's Bewertung des Warenlagers mit 50% des EIN-kaufspreises. Offensichtlich ein Fehler, der Linses Vorgaben für die Kompensation fuer Jankiel Nussberg als besonders unfair darstellt. Diese Kritik ist fehlerhaft.