7 Antifaschistische Widerstandsgruppe Ciphero
(Linse, Mitglied Nr. 16)

Die geheime Widerstandsgruppe Ciphero entstand 1943/44 und wurde von Edgar Fischer im Juni 1945 (doc 7a, 7b) beschrieben, mit Dr. Linse als Mitglied Nummer 16. Neben Fischers Dokument gibt es zwei DDR Polizeiberichte von 1951, in denen Linses Mitgliedschaft bei Ciphero angesprochen, und nicht bezweifelt wird (doc 7c, 7d). Dr. Benno Kirsch bespricht dieses Thema auch (Seiten 40 bis 42) und weist auf Korrespondenz des Antifaschistisch-Demokratischen Blocks vom Frühjahr 1946 hin (doc 7e, 7f). Darin geht es um die Entnazifizierung der Mitglieder der Widerstandsgruppen Ciphero und Arüsa, auch namentlich von Dr. Linse. Von den damaligen Zeitgenossen wird die Existenz dieser Widerstandsgruppen anerkannt und nicht in Frage gestellt.

Es ist wohl selbstverständlich, dass Walter Linses IHK Akten aus der Nazi-Zeit selbst keine Einzelheiten über solche Widerstands-arbeit oder -organisationen enthalten. Wir wissen jetzt nur, dass Walter Linse, als Mitglied Nr. 16 (doc 7b) dabei war. Seine Anti-Nazi Gesinnung ist auch, unabhängig von seiner Mitgliedschaft in Ciphero, durch die Beispiele (Kapitel 1 bis 8) dieser Internetseite bezeugt.

Heute verstehen viele Menschen (aber nicht alle), dass es damals für jeden, wie auchLinse, höchst gefährlich war, bewussten Widerstand gegen die Nazis zu leisten, ganz besonders, wenn es organisierter Widerstand war. Entdeckt oder verraten hätte das 1944 und 1945 zu sofortiger, standrechtlicher Hinrichtung führen können. Es ging um Leben und Tod, im wahrsten Sinne der Worte.

Nach dem Zusammenbruch und in den ersten Monaten unter der sowjetischen Besatzungsmacht lebten noch viele Zeugen, die für oder wider Linse hätten aussagen können. Zwei Denunziationen sind bekannt; diese wurden untersucht und führten zu keinem Schuldspruch. Im Gegenteil, die neue Staatsmacht hat Dr. Linse anerkannt und wieder in seinem Amt eingesetzt und sogar mit der Leitung einer Kommission für die Entnazifizierung (!) anderer betraut. Ein gewichtiges Zeugniss für Linse. Hätte er sich in der Nazizeit schuldig gemacht, wie ihm heute manchmal vorgeworfen wird, wäre Linse schwerlich so bestätigt worden.        

Ich finde es unfair, das Ciphero-Dokument von Edgar Fischer heute als “Persilschein für die Entnazifizierung” oder "selbstdienliche retroaktive Kreation" abzuwerten, mit der Begründung, dass Ciphero nicht anderweitig bekannt gewesen sei. Die hier gezeigten Dokumente (doc 7a - f) beweisen das Gegenteil: Ciphero war bekannt und wurde ernst genommen. Mitglieder waren namentlich und mit Wohnadresse identifiziert, hätten damals also genau befragt werden können. Und ich nehme an, dass sie befragt worden sind.

Nicht einmal die DDR Polizei hat sich (im Jahre 1951) zu wegwerfenden Urteilen über Ciphero hinreissen lassen (doc 7c, 7d), obwohl dies vielleicht ihren Untersuchungen gegen Linse (damals schon UfJ Mitarbeiter in West Berlin) dienlich gewesen wäre.

Wenn eine solche Gruppe wie Ciphero nicht genügend bekannt war, ist nur bewiesen, dass sie geheim geblieben ist, wie sie es sein sollte. Es war zu gefährlich, Taten des Widerstandes zu dokumentieren, vielleicht um später Anerkennung zu heischen. Es war auch ehrenvoll, zum Zeitpunkt der Tat nicht an die Anerkennung zu denken. Mitglieder einer solcher Bewegung, oder auch Einzelkämpfer, verdienen, dass wir heute ihre Taten ehren, nicht schmähen. Soweit sie nicht von einem Gericht irgendwelcher Nazi-Straftaten schuldig befunden worden sind, müssen wir diese Menschen, wie auch Dr. Linse, als unsere Helden anerkennen.

Überzeugen Sie sich selbst - schauen Sie die folgenden Dokumente an. Vielen Dank.

7a Ciphero (Auszug), Juni 1945
(mit Genehmigung vom und Dank an Stadtarchiv Chemnitz)

Im Juni 1945 schrieb Herr Edgar Fischer einen vielseitigen Bericht ueber die antifaschistische Widerstandsgruppe Ciphero. Hier sei nur die erste Seite wiedergegeben. Sie nennt die beiden Teile, den Wehrmacht- und den zivilen Sektor. Walter Linse arbeitete im letzteren. Dr. W. Linse erscheint als Nummer 16 in Liste der Mitglieder, doc 7b.

7b Ciphero Mitgliedsliste, Juni 1945

Man erkennt Mitglied Nummer 16 : Dr. Linse, Chemnitz, Industrie und Handelskammer.

7c Ciphero - Linse war Mitglied, laut DDR Polizei Bericht,
1951 (#1)

7d Linse bei Ciphero DDR Polizeibericht #2 Chemnitz,  1951 

7e Anfrage des Antifaschistisch-Demokratischen Blocks
des Landes Sachsen,  re Ciphero

Der Block der Antifaschistischen Demokratischen Parteien, ein Zusammenschluss von KPD, SPD, CDU und LDP, wurde im Sommer 1945  - auf Anregung der KPD -  als "feste Grundlage im Kampf für die völlige Liquidierung der Überreste des Hitlerregimes" gegründet und von der Sowjetischen Militär Administration (SMAD) genehmigt. Der Block trat auf Zonen-Ebene zusammen und bildete Landes- und Lokal-Büros und organisierte die Entnazifizierung in der "Ostzone". (siehe Wikipedia Demokratischer Block)

Die Vereinahmung der LPD in den "Block", unter kommunistischer Führung, ist wahrscheinlich der Grund für Linses Austritt aus der LDP. An anderer Stelle wird vorgeschlagen, dass sein Austritt eine Konsequenz aus zwei Denuziationen gegen ihn wegen angeblicher Nazi-Vergangenheit. Diese wurden aber von Kommunisten und der Kriminalpolizei untersucht und verworfen - sollten also kein Grund für den Austritt gewesen sein.

Der Antifaschistisch Demokratische Block Sachsen (Dresden) untersucht die Entnazifizierung der Mitglieder von Ciphero und Arüsa, zweier Widerstandsgruppen in Sachsen, und erkundigt sich in Chemnitz über NSDAP Zugehörigkeit etc. von bestimmten Mitgliedern. Unten folgt eine Kopie der Anfrage. Man beachte, dass die Legitimität der Gruppen nicht in Frage gestellt wird. Der "Block" wusste Bescheid.

7f Antwort des Antifaschistischen Demokratischen Blocks Chemnitz über  Ciphero Mitglieder

Der Antifaschistisch Demokratische Block Chemnitz antwortet mit den entsprechenden Informationen, spezifisch für jede einzelne Person. Zum Beispiel, Walter Linse war ein Gegner der Nazis (Siehe unten).  Auch Chemnitz bezweifelt die Echtheit der Widerstandsgruppen nicht.

7g Herr Bauch (LDP) an UfJ: Linse war beim Widerstand.

in einem Brief vom 16.12. 1950 an den Untersuchungs-Ausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ) schreibt Herr Bauch, dass er Walter Linse während der Hitlerzeit und nach dem Krieg kannte. Linse habe vielen Menschen geholfen und sich dadurch grossen Gefahren ausgesetzt. Bauch bestätigt, dass Linse Mitglied bei der Anti-Nazi Widerstandsgruppe Ciphero war.

Es erscheint, als habe Linse Herrn Bauch als Referenz genannt, und dieser habe mit einer eine sehr positiven Beurteilung an den UfJ geantwortet. 

7h Memorandum von Linse an Friedenau (UfJ) re Ciphero

Am 18. April 1952 richtet W. Linse ein Memorandum an Friedenau über Linses Kontakt mit Herrn "X" (Ein Herr Oelschlägel, Mitbe-gründer von Ciphero). Linse sei Mitglied der Widerstandsgruppe geworden - ein Umstand, der anderen Mitgliedern vielleicht bei der Entnazifizierung geholfen haben könte. Von diesem Vorteil sei Linse aber nicht betroffen, weil er nicht Mitglied der NSDAP war (siehe Kapitel 8).

Das Datum dieses Dokumentes ist wichtig, weil es zwei Jahre nach Linse's "Meldebogen" liegt.  Eine Antwort in dem Meldebogen war "JA" - und könnte als ein "JA" zur NSDAP Mitgliedschaft misinterpretiert werden. Dieses Memorandum unterstützt, dass Linse NICHT Mitgliedschaft bejaht hat, sondern allenfalls "JA", dass er Antragsteller war (was Linse von Anfang an immer wieder bestätigt hat).