8 War Linse ein Nazi?  Urteile seiner Zeitgenossen

Nach Linses eigenen Aussagen habe er 1940 , unter Druck seiner IHK Vorgesetzten, einen Antrag für NSDAP Mitgliedschaft eingereicht. Jedoch sei er niemals Mitglied geworden, weil er es immer vermeiden konnte, das Mitgliedsbuch ausgehändigt zu bekommen. Nach NSDAP Regeln aber beginnt die Mitgliedschaft erst mit der Übergabe des Mitgliedsbuches und/oder der Mitgliedskarte, und nicht vorher. 

Er leugnet nicht, den Antrag gestellt zu haben - und  räumt aber ein, dass jemand anderes, der die NSDAP Regeln nicht kennt oder nicht akzeptiert, den Antrag selbst mit Mitgliedschaft gleichsetzen könnte. Man darf annehmen, dass Linse die Regeln der NSDAP kannte, auch das Prinzip der Freiwilligkeit (s. Lingg) - ein Antragsteller sollte  nicht "unter Druck" handeln müssen. Linse aber fühlte sich unter Druck und mag auch deshalb den Antrag als nichtig und nicht massgeblich betrachtet haben. Auf keinen Fall war der Antrag für ihn eine "Freie Willensäusserung".

Eine NSDAP "Mitgliedskarte", die verschiedentlich erwähnt wird, existiert NICHT. Was im Bundesarchiv gefunden wurde, ist ein "Gau-Karteikarte" - diese wiederum beweist Mitgliedschaft NICHT. Die Karte enthält einen Fehler und ist unvollständig und nicht aktualisiert.  Dadurch ist sie ein höchst fragwürdiges Dokument - eine vieldiskutierte Frage -- eine genaue Analyse und Besprechung, auch eine Abschrift der Gau-Karteikarte befindet sich in (doc 8a).

In dieser Sache folge ich Linses eigener Aussage, die 1945 auch von seinen Zeitgenossen, den Sowjets und den Kommunisten unterstützt wird: Linse war NICHT Mitglied der NSDAP . Hierbei widerspreche ich meinem guten Bekannten Dr. Benno Kirsch - und weise seine gegenteilige Feststellung als unbewiesen zurück.

Hier nur eine Zusammenfassung, im Telegrammstil

1940 Eine NSDAP Gau-Karteikarte existiert. Sie ist aber kein Beweis für Mitgliedschaft.  Siehe Fakten, Fragen und Unstimmigkeiten (doc 8a , 8b, 8c)

1942 eine Mitarbeiterin berichtete, dass Dr. Linse in der Handelskammer stets Anzug und Krawatte trug - während dort sonst jedermann in Partei-Uniform erschien. Ein Zeichen seiner Abneigung. (Siehe Kapitel 6)

1944 Mitglied bei der Widerstandsgruppe Ciphero, Wie in Kapitel 7 detailliert.

1945 Sowjetische Besatzer und deutsche Kommunisten ernennen Linse zum Bezirkssonderausschuss zur Bereinigung des Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer, vereidigten Buchprüfer und Wirtschaftsberater bei der IHK Chemnitz (Dienst in einer Entnazifizierungs-Kommission) *

1945 Sowjetische Besatzer setzen Linse wieder bei der IHK ein*, später als Geschäftsführer. Diese Ernennung ist  undenkbar wäre Linse als Nazi, Nazitäter oder Antisemit bekannt gewesen. Siehe (doc 8a)

1945, September, eine Denunziation von Herrn F. : Linse sei Mitglied in der NSDAP gewesen und habe das Parteiabzeichen am Revers getragen. KPD und Kriminalpolizei untersuchen den Fall. Es erfolgt keine Aktion gegen Linse. Offenbar hatte der Beschwerde-Bringer Vorurteile “gegen die Herren Akademiker…” (doc 8a)

1946, 28. Februar, eine Aussage an den Antifaschistisch-Demokratischen Block: "In der NSDAP, SA oder einer anderen Formation war er nicht. Betätigt oder hervorgetan hat er sich nicht. Er war ein Gegner des Nazi-Systems ..... *

1946, Geschäftsstelle der LDP, Chemnitz * :  Herr Dr. Linse hat sich nach eigenen Angaben seinerzeit und auf ausdrücklichen Druck des damaligen Präsidenten der IHK Chemnitz, Herr Schöne, zur NSDAP als Mitglied angemeldet; es soll aber bei dieser Anmeldung verblieben sein, und, behauptet Dr. Linse, es in geschickter Weise stets abgebogen zu haben, dass er ein Mitgliedsbuch ausgehändigt erhielt. Mithin betrachtet sich derselbe nicht als zur NSDAP gehörend.[....] Nach unseren Informationen ist aber Dr. Linse immer ein Gegner der Nazi-Ideologie gewesen, was wir besonders hervorheben möchten.*

1948, Februar, Beschwerde an den Oberbürgermeister* : "Wann wird Herr Walter Linse, Ulmenstr., entnazifiziert?" ….   Linse wird zur Rede gestellt und füllt einen Fragebogen der Kreis-Entnazifiziierungs-Kommission Chemnitz-Stadt aus. Darin verneint er, Mitglied bei der NSDAP gewesen zu sein.*

1949 Walter und Helga Linse fliehen nach West-Berlin. Ein Jahr später wird Linse beim Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ) eingestellt. Keine Andeutung irgendwelchen schuldhaften Verhaltens in der Nazi-Zeit.

1950 Brief von Herrn B* (ein Bekannter von Linse) an den UfJ. Lobt Linse's Hilfe während B's Inhaftierung bei der Gestapo. Er bestätigt Linse's Mitgliedschaft in einer Widerstandsgruppe.

1951 Zwei Berichte der DDR Polizei über Linse und Kontakt-Personen. Beide Berichte sprechen von Linse's Mitgliedschaft bei der Anti-Nazi Gruppe Ciphero. Darin werden Existenz oder Wirkung dieser Gruppe nicht angezweifelt, obwohl dies in den Ermittlungen gegen Linse dienlich gewesen sein könnte.  (doc 7c und 7d)

1952 Dr. Walter Linse gewaltsam aus West-Berlin entführt. Der Überfall war weltweit bekannt (siehe Kapitel 3  doc 3 c). Es gab jedoch keine Proteste gegen ihn wegen seiner Tätigkeit bei der "Entjudung der Deutschen Wirtschaft", obwohl eine beträchtliche Anzahl der Opfer im Ausland Fuss gefasst hatte, und Erinnerungen noch frisch waren. Im Gegenteil, es kam eine positive Bewertung (siehe nächstes Zeugnis).

1952 Horst Lantzsch: (siehe Kapitel 3, doc 3d, 3e,  zu diesem Thema)

“…Dr. Linse, der sich …massgebend dafür einsetzte, war es möglich, meinen Freund Ascher aus dem KZ-Lager herauszuholen....”)

1952 Beim UFJ ist Linse massgeblich bei der Planung eines ersten Internationalen Juristen-Kongresses beteiligt, der die Rechtslage in der DDR/SBZ beleuchten soll. Daraus entsteht die International Commission of Jurists, die sich mit Menschenrechten, Recht und Gerechtigkeit befasst und immer noch besteht. Es ist undenkbar, dass Linse ein Naziverbrecher war und dann solch eine öffentliche internationale Rolle ausüben konnte. Die Wunden vom Naziterror waren damals noch frisch. Wirklich schuldig wäre er damals erkannt und angeklagt worden. (siehe doc 8a)

1955  Herr Heiland * berichtet über seine Haft Im Gefängnis Karlshorst, 1953. Er teilte dort eine Zelle  mit Walter Linse und erinnert sich, dass Linse erklärte, er hätte dem National-Sozialismus ablehnend gegenüber gestanden. (Kapitel 8, doc 8b)

1963, 6. Februar, Alfred Ascher: (Kapitel 1, doc 1a,) in einem Zeitungs-Interview:

“Fortunately, Linse was an avowed anti-Nazi”
(Zum Glück war Linse ein überzeugter Nazi-Gegner)
Aschers' Tochter, Frau Sonia Ascher, hat den Artikel gefunden und uns zugeschickt.

Zur detaillierten Diskussion und Dokumentation (Oben links klicken) 


Welche Zeugnisse wiegen am schwersten?
Bitte urteilen  Sie selbst:
War Linse  Nazi oder Nazi-Gegner ?

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* Die meisten der Berichte über den Zeitraum 1945 bis 1948 werden in Dr. B. Kirsch, "Walter Linse 1903 – 1953 – 1996"  (Seiten 38 bis 43) diskutiert und belegt. (Zitat Teile dick gedruckt hervorgehoben von P. Seifert)

8a War Dr. Linse ein Nazi?

"Mitgliedskarte"

Wussten Sie, dass eine NSDAP "Mitgliedskarte" oder ein Mitgliedsbuch von Dr. Walter Linse gar nicht existiert ?   Was im Bundesarchiv gefunden wurde, ist seine "NSDAP GAU-Karteikarte", nicht eine "Mitgliedskarte". Und der Unterschied zwischen diesen beiden - hinsichtlich der Mitgliedschaft - ist wie Tag und Nacht. Lesen Sie nur weiter, es wird interessant, denn Linse hat stets verneint, Mitglied der NSDAP gewesen zu sein und auch  begründet, warum das so ist.

Aber, immer noch benutzen Historiker und Politiker diese Karte, um ihn als  "Nazi" abzustemplen. Und einmal Nazi, war er nicht automatisch Antisemit und damit ein Täter? Bitte, nicht so schnell, denn wer Linse anklagen will, braucht Beweise. Ohne diese ist Linse nicht schuldig.

Betrachten wir doch zu Anfang einmal diese "Gau-Karteikarte", hier in einer Nachbildung gezeigt.

An sich sind Mitglieds- und Gau-Kartei-karte leicht zu unterscheiden. Erstere ist ROT, die andere,  BLAU, wie oben gezeigt. Eine Verwechselung sollte nicht möglich sein.

Wenn jemand Aufnahme in die NSDAP beantragt, muss er einen Antrag  persönlich unterschreiben . Die Partei prüft sodann die Erfüllung "gewisser" Voraussetzungen, legt eine Gau-Karteikarte an und "nimmt" den Antragsteller "auf " (Datumstempel auf der GAU-Karteikarte). Erst dann werden für den Bewerber Mitgliedskarte und/oder Parteibuch erstellt - und selbst dieser Schritt beweist noch nicht die Mitgliedschaft.   Warum nicht?

Weil Mitgliedschaft in der NSDAP (nach deren genauen Regeln) erst beginnt mit der Übergabe dieser Mitgliedskarte und/oder des Parteibuches an den Antragsteller persönlich, meist bei einem festlichen oder offiziellen Anlass. Genau zu diesem Punkt schreibt die Geschäftsstelle der LDP  (Chemnitz, 1945/46)  etwa so: … aufgrund Druck von seinen Vorgesetzten habe er [Linse] einen Antrag auf Aufnahme in die Partei gestellt    dabei sei es aber geblieben, denn er habe es immer in geschickter Weise vermeiden können, dass er ein Mitgliedsbuch bekam. Somit habe seine Mitgliedschaft nie begonnen und somit sei er kein Mitglied der NSDAP geworden.

Diese Schritte zum Beginn der Mitgliedschaft in der NSDAP findet man vielfach anderweitig bestätigt. Weiter wird erklärt, dass viele der ursprünglichen Antragsformulare verloren gegangen sind - dass man aber der bürokratischen Genauigkeit der NSDAP Stellen vertrauen solle, denn unvollständige (z.B. nicht unterschriebene) Anträge seien tatsächlich nicht bearbeitet worden. Obwohl  Dr. Linses Antrag nicht gefunden worden ist, sei es also höchst wahrscheinlich, dass ein von ihm unterschriebener Antrag vorlag. Dessen Existenz hat Linse sogar selbst bestätigt. Selbige Quellen räumen auch verschiedene Möglichkeiten ein, die seinen Umstand, also keine Übergabe der Dokumente, erklären können, und dass ohne Übergabe die Mitgliedschaft nicht beginnt.

In der Frage, ob Dr. Linse nun Mitglied der NSDAP geworden ist, geht es also weder um den Antrag, noch um die GAU-Karteikarte, sondern um die Übergabe einer Mitgliedskarte (oder des Parteibuches) an Linse. Letzteres fand eben nicht statt, wie Linse selbst - nach dem Zusammenbruch - ausgesagt hat. Er war also NICHT Mitglied, wie mehrfach von anderen bestätigt und von verschiedenen zeitgenössischen Stellen akzeptiert wurde.

Man könnte überlegen, wie Linse wohl die Übergabe eines solchen Dokumentes vermieden hat, ohne eine Konfrontation zu riskieren. Wäre es doch höchst verdächtig erschienen, wenn er sich einfach nachträglich gegen Mitgliedschaft entschieden hätte. Ein kurzer Blick auf die GAU-Karteikarte (s. oben) deutet aber eine Möglichkeit an, die Linse vielleicht benutzt hat: Sein Vorname Walter ist FALSCH geschrieben, nämlich mit "h", Walther. Dieser kleine Fehler war vielleicht seine Rettung aus der heiklen Situation: "... entschuldigen Sie bitte, Herr Kreishauptamtsleiter, aber diesen Ausweis kann ich [Linse] nicht annehmen ...  Warum nicht? ... Würden Sie ein so wichtiges Dokument akzeptieren, in dem IHR Name falsch geschrieben ist? ... Natürlich nicht ..."

Angenommen, dass das überflüssige "h" vielleicht gar schon in dem Antrag enthalten war (ein Tippfehler), sieht man was passieren kann: Niemand will den Fehler eingestehen, niemand ist berechtigt, eigenmächtig einen Namen zu ändern ... usw ...  Zeit verfliesst und der ganze Antrag wird vergessen. Nun kann Linse, wenn um seine Parteimitgliedschaft befragt, mit der Wahrheit antworten: "... ja, ich habe einen Antrag gestellt ..." und fast jedermann wird damit zufrieden sein. Natürlich ist das kein Beweis - aber, wie uns der gesunde Menschenverstand lehrt - so könnte es gewesen sein.

Eine weitere Unstimmigkeit auf der GAU-Karteikarte von 1940 gibt zu denken, denn Linse heiratet zwei Jahre später in Chemnitz und zieht mit seiner Frau in eine erste neue Wohnung (Germaniastrasse 3), später in eine zweite (Ulmenstrasse 59). Weder der neue Ehestand, noch die neuen Adressen sind eingetragen, obwohl doch gerade für solche Aktualisierungen auf der Karte viel Platz bereitgestellt ist, und obwohl die Partei-Bürokratie für peinliche Genauigkeit bekannt ist. Sogar die gesamte Rückseite der Karte ist reserviert für monatliche Meldungen und Änderungen - auch da findet man NICHTS. Die fehlenden Einträge sind ein weiterer Hinweis, dass Linse richtig ausgesagt hatte: Er ist nie Mitglied geworden. Also wurde die GAU-Karteikarte nie aktualisiert. Somit ist die GAU-Karteikarte eher ein Hinweis für die Richtigkeit Linse's eigener Aussage er sei kein NSDAP Mitglied geworden, als für gegenteilige Behauptungen.

Jemand mag darauf hinweisen, dass die NSDAP eine Mitgliedschaft aberkennen kann z.B. wegen mangeldem Interesse des Mitgliedes oder ähnlichen Umständen oder Vergehen. Im Fall Linse aber: Kein Ausschluss. Beweist das Mitgliedschaft? Nein, denn wieso sollte jemand ausgeschlossen werden, der gar nicht Mitglied geworden ist?

Um Linse's Mitgliedschaft zu beweisen, müsste der Kläger einen Zeugen finden, (oder ein entsprechenden zeitgenössischen Bericht) der bestätigt, die Übergabe der Mitgliedskarte persönlich gesehen zu haben, und einige Personen nennt, die auch dabei waren. Diese Forderung ist berechtigt, denn der Widerspruch zu Linse's Erklärungen ist gleichbedeutent mit der Anklage wegen Meineides - einer sehr schweren Belastung, besonders im  damaligen Umfeld der zügig durchgeführten Entnazifizierungen. Wer dabei lügt, riskiert harte Strafen.

Denunziationen

Schon 1945 hat Linse  selbst eingeräumt, dass seine Kritiker der juristischen Logik, die er vertritt, eventuell nicht folgen möchten. Sie könnten seinen Antrag auf Mitgliedschaft als eine freie Willensäusserung verstehen, die für sie gleichbedeutent mit Mitgliedschaft selbst erscheint. Linse hingegen sah sich unter Druck von seinen Vorgesetzen, doch endlich (1940) der führenden Partei beizutreten. Demnach war der Antrag nicht sein freier Wille gewesen. Obendrein verweist Linse auf die genauen Regeln der Partei. 

Trotz des Antrages, den Linse nicht verschwiegen hat, haben die neuen Machthaber in Chemnitz, Sowjets (SMAD) und Deutsche Kommunisten, 1945/46 seine Erklärungen akzeptiert, und ihn vollkommen entlastet. Vielleicht haben seine Mitgliedschaft in einer Widerstandsgruppe und positive Aussagen mehrerer Chemnitzer Bürger zu der Entscheidung beigetragen. Mehr dazu weiter unten. Aber, von anderer Seite kamen Beschwerden (3):

Ein Denunziant, Herr F., klagt 1945 bei der KPD, dass Linse ein Nazi gewesen sei, das Parteiabzeichen getragen habe, usw. Die Beschwerde wurde durch die Kriminalpoizei untersucht aber abgewiesen, vielleicht als Hören-Sagen und wegen offenbarer Vorurteile des Beschwerdeführers gegen "die Herren Akademiker" und Verwaltungsangestellte.

Eine Dame, Frau S., fragt 1948 beim Oberbürgermeister (Max Müller, SED) an, wann Linse gemäss Paragraph 201 entnazifiziert werde, denn er habe bei der "Entjudung", in der Rüstung, und anderweitig eine grosse Rolle gespielt usw. Nur wenige Tage später füllt Linse einen Fragebogen (4) aus, in dem er angibt, nicht Mitglied der NSDAP gewesen zu sein, was sich mit seinen früheren Aussagen von 1945 deckt. Offenbar hat diese Antwort den Herrn Oberbürgermeister zufriedengestellt, sodass das Verfahren beendet war oder "im Sande verlief".

Linse's Auslegung, seine NSDAP Mitgliedschaft habe nie begonnen, hat also auch gegen direkte Denunziationen durch Zeitgenossen in der damaligen Gegenwart  standgehalten. 

All dies zeigt, dass Linse's Angaben und Begründung, er sei nicht Mitglied der NSDAP geworden, zunächst einmal von den Machthabern akzeptiert wurden. Dabei ist auch bemerkenswert, dass diese Entscheidung zu Linse's Gunsten von Kommunisten getroffen wurde, obwohl er zur nicht-kommunistischen LDP gehörte. Als aber seine Partei im Antifaschistisch-Demokratischen Block zunehmend unter kommunistische Führung geriet, verliess er noch 1945 die LPD wieder (so begründet durch Linse selbst). Offensichtlich für jedermann war Linse also bei weitem kein Sympathisant sondern eher ein Gegner der Kommunisten. Für diese Grund genug, Linse abzusetzen, los zu werden, hätten sie auch nur einen Hauch von Nationalsozialismus an ihm gespürt. Aber, da war nichts. Im Gegenteil, es gab genügend Zeichen dafür, dass er auch ein Gegner der Nazis war. Lassen wir doch diese Zeichen noch einmal an uns vorbeilaufen.

 

8b Frage- und Meldebögen zur Entnazifizierung

Aus den Jahren 1945 bis 1946 wurde bisher kein von Linse ausgefüllter Entnazifizierungs-Fagebogen oder -Akte gefunden. Es entbehrt nicht einer gewissen Logik, dass es vielleicht gar keinen gibt: Wieso sollte Walter Linse auch entnazifiziert werden, wenn er kein "Nazi" war, weil seine Mitgliedschaft in der NSDAP nie begonnen hat ?

Als er 1948 in Chemnitz von Frau S. denunziert wurde, füllte Linse einen Fragebogen aus. Die Kernfrage
                                  "Waren Sie Mitglied der NSDAP und einer ihrer Gliederungen?"
hat Linse darin mit "NEIN" beantwortet, genau im Sinne seiner früheren Aussagen. Offenbar erübrigten sich damit irgendwelche nachfolgenden Schritte.

Ein Jahr nach Linse's Flucht wurde von der Berliner Stadtverwaltung (1950) eine "Auskunft" gefunden. Man darf annehmen, dass  die "Auskunft" seine NSDAP GAU-Karteikarte war, die in das Berlin Document Center gelangt und nun durch die alphabetische Umsortierung der Karten leichter findbar geworden war. Linse wurde daraufhin von einer Spruchkammer aufgefordert, einen sogenannten "Meldebogen" auszufüllen. Darin beantwortet er die "Kernfrage" mit "JA". Ein Widerspruch zu der Aussage von 1948? Nein, denn die Kernfrage diesmal (1950) lautete anders:

" Waren Sie jemals Angehöriger, Anwärter, Mitglied,
förderndes Mitglied der ... (a) NSDAP"?

Hier werden also Anwärter (als Antragsteller) und Mitgliedschaft gleichgestellt - eine mögliche Ansicht, die Linse selbst schon 1945 eingeräumt hatte, die aber nach NSDAP Regeln nicht galt.

Von der GAU-Karteikarte weiss er nun auch Mitgliedsnummer und Aufnahmedatum (1. Oktober 1940) und er gibt diese im Meldebogen an. Für Linse selbst hat diese neue Definition der Mitgliedschaft aber keine Konsequenzen, denn in Westberlin gelten seit April 1949 die Personen, deren Mitgliedschaften nach 1937 beginnen, nicht mehr als "betroffen". Im Juli 1950 erhält er die entsprechende amtliche "Verfügung", darf seinen Beruf ausüben und braucht nicht den "Trockenstempel" in seinem Ausweis, der Nazi-Belastung andeuten würde.

Die fünf  Dokumente waren fraglos einmal in den persönlichen Akten von Dr. Linse, und später Frau Helga Linse (der Tante dieses Autors). Sie sind durch Linse's Katastrophe verloren gegangen. Anstatt zeige ich Kopien aus dem Bundesarchiv Berlin. BArch, ZB7374 A-14 Bitte um Nachsicht (P.Sei).  

Trotz alledem schreibt das US HICOG 1952 (nach der Entführung) ein kurzes Memorandum zu Linse's Person. Darin steht, u.a., dass er seit 1942 (!) NSDAP Mitglied war - jedoch ohne  Hinweis auf irgendwelches Beweismaterial dazu, oder auf die unterschiedlichen Definitionen, bezüglich Anwärterschaft oder Mitglied-Status.

Die Amerikaner, als Siegermacht, haben das Kriterium für Mitgliedschaft in der NSDAP geändert: Mitgliedschaft beginnt nicht mehr mit Aushändigung der Mitgliedskarte sondern mit dem Datum des Antrages. Eine nachträgliche, rückwirkende Änderung - die vielleicht Linses "JA" Antwort auf dem "Meldebogen" von 1950 beeinflusst hat. Für jemanden, der sich erkennbar jahrelang gesträubt hat, Mitglied der NSDAP zu werden, oder später als solches zu gelten, war diese Änderung sicher schmerzhaft. Vielleicht hat er eine pragmatische Antwort gegeben, weil sie ohne Konsequenzen für ihn blieb: Da er seinen Antrag erst so spät (1940) gestellt hatte, galt er für die Siegermächte als "nicht belastet".

Es passt jedoch besser zu Linse's Idealismus und seinem Glaube an Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, dass er seine Überzeugung (Mitgliedschaft habe nie begonnen) weiterhin vertritt, also, sein JA (1950) galt dem "Antragsteller", wie oben schon vorgeschlagen. Das ist auch logisch, denn der "Meldebogen" zeigt das Wort "Anwärter" in dem Titel für die gesamte erste Spalte. Das Wort gilt also nicht nur für die erste Zeile, für NSDAP, sondern auch für die anderen Organisationen, die in den weiteren Zeilen erscheinen. Deshalb gehört  "Anwärter" keineswegs nur zu dem Aufnahmeprozess  für die NSDAP während der Aufnahmesperre, sondern hat allgemeinen Wert, wie zum Beispiel "Antragsteller".   Man kann verstehen, dass Linse "Anwärter" als gleichbedeutend mit "Antragsteller" empfand und dass es auch so gedacht war. Er hat deshalb 1950 mit "JA" geantwortet, weil er "Antragsteller" war, was er nie geleugnet hatte. Aber für ihn gilt das "JA" NICHT für die NSDAP Mitgliedschaft, im Einklang mit seinen früheren Aussagen (1945 bis 1949), sowie mit den Regeln der Partei, die in Kraft waren, als er den Antrag gestellt hatte (1940).

Linse's Status, 1940 bis 1945, als Antragsteller, mit Aufnahmedatum, aber OHNE ausgehändigte Mitgliedskarte, gleicht dem der "NSDAP Anwärter" während der Aufnahmesperre. Obwohl deren Mitglieschaft nicht begonnen hatte, unterlagen sie, auch während der Sperre (gemäss Lingg), der Beitrags- und der Meldepflicht. Deshalb mag Linse 1950 im Meldebogen angegeben haben, dass der Monatsbeitrag 3 Mark war, weil auch er, wie die früher gesperrten "NSDAP Anwärter", der Beitragspflicht unterlag. Somit hat er mit dieser Auskunft NICHT zugegeben, dass seine Mitgliedschaft begonnen hatte, sondern nur, dass er der Beitragspflicht unterlag.

Die obige Darlegung wird von Linse selbst 1953 (!), also nach der Aussage von 1950 im "Meldebogen", unterstützt. Nämlich erklärt Linse in Haft einem Zellengenossen names Heiland, dass er sich "der Nazi-Bewegung gegenüber ... ablehnend verhalten" habe. Dieser Herr Heiland wurde später zu Haft in der Sowjetunion verurteilt aber zum Glück 1955 vorzeitig entlassen. Im gleichen Jahr sprach er mit Beamten der Bundesrepublik  über seine Erfahrungen in der Haft und die Begegnung mit Linse 1953 im Gefängnis Karlshorst. Der gesamte Bericht (BArch_ B_209_1201, [1955 Heimkehrer Heiland, re Linse, gefunden von Dr. B. Kirsch]) ist glaubhaft.

Schon am 18. April 1952, also zwei Jahre nach dem "Meldebogen", bestätigt Linse dass er NICHT NSDAP Mitglied war in einem Memorandum an seinen Vorgesetzten beim UfJ, Friedenau. Darin meldet Linse einen Besuch und Anliegen eines Gründers der Ciphero Gruppe (Herr Oelschlägel; der Name erscheint nicht in dem Memorandum). Mitgliedschaft in dieser Gruppe habe nach dem Krieg einzelnen, nazistisch belasteten Mitgliedern bei der Entnazifizierung geholfen. Solche Hilfe habe Linse aber nicht gebraucht, weil Linse selbst NICHT belastet war. Wörtlich:

..."Die Anerkennung [der Gruppe als Widerstand gegen die         Nazis durch SMAD] hatte praktisch nur zur Folge, dass die         nazistisch belasteten Mitglieder der Widerstandsgruppe gewisse Vorteile hatten, die für mich selbst nicht infrage kamen."                   (aus Bundesarchiv Koblenz B 209, 1204)

Auch dieser Bericht von 1952 unterstützt die Ansicht, dass der "Meldebogen" von 1950 NICHT als "Selbstbezichtigung" Linses gelten kann.

Gleichermassen widerspricht derselbe Bericht auch dem Gedanken, Linse habe sich am 11. Juli 1952 (also am dritten Tag seiner Verschleppung und Haft, und nur drei Monate nach dem obigen Bericht) selbst glaubhaft zugegeben, NSDAP Mitglied gewesen zu sein. Allein der Vorschlag, dieses von Linse unterschriebene 20-seitige MfS-Protokoll habe irgendeinen Wahrheitsgehalt, ist abwegig, und zeigt ein hohes Mass von Unverständniss der damaligen Wirklichkeit und Linses Situation. Wahrscheinlicher ist, dass Linse jede Seite unterschrieben hat (ohne seine Brille, mit Verwundung am Bein) in der Hoffnung, dass er dadurch schnell wieder entlassen würde. Denn, hätte er das Protokoll tatsächlich gelesen, dann hätte er erkannt, dass es eine Anklageschrift war, die zu seinem Todesurteil führen könnte.     (MfS_GH_10557_Bd_1 HSH Protokoll Seiten 1 - 20).

Zweifellos ist Linse's Mitglieds-Status komlipiziert, weil das Nazi-Regime (durch Linse's Chef Schöne) seine Mitgliedschaft verlangt, Linse sich aber erkennbar dagegen gesträubt hatte. Ihm nun einfach zu attestieren "er war zwar seit 1940 Mitglied der NSDAP ..." wäre für Linse eine Beleidigung oder schwere Beschuldigung, gegen die er sich vehement verteidigen würde. Schliesslich war die NSDAP kein "Schrebergarten-Verein" sondern der Träger einer Ideologie, die für Millionen Menschen den Tod und für Deutschland Scham, Schande und Vernichtung brachte. Deshalb war und ist es heute keine unwichtige Kleinigkeit, ob man bei dieser Partei Mitglied war oder als solches gilt. Wer diese Ansicht, Linse sei Mitglied der NSDAP gewesen, heute noch vertritt, muss nach meiner Meinung die obigen Argumente zum Gegenteil mit wirklichen Beweisen widerlegen.

Wenn man es nicht selbst erlebt hat, ist es vieleicht schwer verständlich, wie eine erwachsene Person "unter Druck" gesetzt werden kann. Ich selbst habe diese Erfahrung gemacht, zuerst 1950 in der DDR, als ich 14-jährig, von meinem Klassenlehrer unter vier Augen, flüsternd, beraten wurde: "Peter, wenn du nicht der FDJ beitrittst, kannst du die Oberschule vergessen". Ich bin beigetreten, habe mich geschämt, wurde aber zur Oberschule und später sogar zur TH Dresden zugelassen. Ein weiteres Gespräch 1955, an der TH, mit den Gruppenleitern der SED und GST für meine Seminargruppe lief ähnlich: "Peter, wenn du nicht beitrittst, musst du dich vielleicht erst einmal in der Industrie bewähren." [sprich Wismut, Uranbergbau].  Diesmal, im Alter von 19, konnte ich die Drohung mit meinen Eltern besprechen und zwei Tage später nach Westberlin fliehen. Dass ich dabei Geschwister, Eltern und Grosseltern Gefahr und Repressalien aussetzen würde ist mir erst viel später klar geworden. Meine Flucht war eine eigennützige Massnahme - ganz im Gegensatz zu Walter Linse's: Er ist geblieben und hat versucht in der Nazi Diktatur menschlich und objektiv zu wirken.

Bitte lesen Sie weiter (im doc 8c) - einfach ganz oben links "klicken" 

8c Linse's Rolle in der Industrie- und Handelskammer (IHK)

Trotz dieser bürokratisch-rechtlichen Erklärungen dass seine Mitgliedschaft in der NSDAP nie begonnen hat, stellt sich die Frage ob er sich durch seine Aufgabe im Rahmen der "Entjudung" der deutschen Wirtschaft zum Nationalsozialismus oder Antisemitismus bekannt hat, ob er Mitläufer wurde, ein Rädchen in der Nazi-Maschine, als Parteimitglied oder nicht. Die Antwort dazu ist in Linse's IHK Akten verborgen. Sie zeigen, dass er das Nazi-Regime und dessen Gesetze, Verordnungen und Funktionäre kritisch bewertete. Seine Kritik, wenn auch nicht explizit, ist in vielen Dokumenten erkenntlich, wie erstmalig von Kirsch und später von diesem Autor detailliert wird. Ausserdem gibt es Zeugnisse von Zeitgenossen die Linses Anti-Nazi Gesinnung in seiner Tätigkeit bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Chemnitz ausdrücken. Viele Beispiele sind in diesem Portal genau dargestellt. (Kapitel 1 bis 7).  Einige Kritiker stimmen aber meiner Bewertung nicht zu.

Zweifellos hat Linse 1938 bis 1944 vielfache Hilfestellung für jüdische Geschäftsleute geleistet, die ihre Betriebe verkaufen oder schliessen mussten. Besonders gut dokumentiert sind die Fälle der Familien Ascher und Reiter. Manchmal wurde die Hilfe auch von Vorgesezten erkannt, und Linse musste ein Dokument revidieren (Kritik an der Regierung ist nicht erlaubt). In einem anderen Fall "beschuldigt" Herr Anacker (NSDAP Kreishauptamtsleiter) dass die IHK [also Linse] wohl Juden beschützen wolle ... Einfacher zu interpretieren ist die Beobachtung einer Sekretärin der IHK, dass Dr. Linse in der Kammer stets Anzug und Krawatte trug, nicht Parteiuniform. Ein Signal, das auch anderswo benutzt wurde, um Abneigung gegen das Nazi-Regime zu demonstrieren.

Andere Zeugnisse für Linse's Anti-Nazi Gesinnung

Von 1943 bis 1945  war Linse Mitglied der Anti-Nazi Widerstandsgruppe Ciphero, bezeugt durch einen der Gründer (Edgar Fischer) in einem detaillierten Bericht. Linse kannte geschäftlich den anderen Gründer, Leiter eines Arbeitsamtes in der Umgebung von Chemnitz. Die meisten der etwa 35 Mitglieder kannten einander nicht, bis Fischer's Bericht nach dem Zusammenbruch erschien. Bemerkenswert ist die Liste der Mitglieder, mit vollen Namen und Adressen, meist aus dem Bezirk Chemnitz. Diese Liste gab den Entnazifizierungs-Behörden volle Möglichkeit einzelne Mitglieder oder Gruppen vorzuladen, zu befragen, die Antworten zu vergleichen, Rückfragen zu klären, usw. Bis zum Kriegsende natürlich geheim, ist Ciphero nach dem Krieg besonders in der Ostzone anerkannt und bekannt geworden.

Die Verbindung zwischen Linse und Ciphero wird in zwei Berichten der Volkpolizei (1951) bestätigt, in denen seine Ciphero Mitgliedschaft besprochen und nicht angezweifelt wird. Einer dieser Berichte nennt ein Amt und eine Person in Dresden, wo mehr Information über Ciphero vorliegt. Ausserdem findet man zwei Dokumente beim Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ) zu diesem Thema (Brief von Herrn B. an den UfJ.  Bericht von Linse an Dr. Friedenau, Chef des UfJ). Soviel zu Ciphero. (Einzelheiten und Dokumente in Katitel 7)

Im Sommer 1945 hat Linse offenbar das Vertrauen der Sowjetischen Besatzer und der deutschen Kommunisten in Chemnitz gewonnen. Sie (a) ernennen Linse zum Vorsitzenden einer Entnazifizierungs-Kommission (!!), (b) setzen Linse wieder bei der IHK ein und (c) befördern ihn später zum IHK Geschäftsführer. Diese Schritte sind undenkbar, wäre Linse Nazi, Nazi-Täter, oder Antisemit gewesen. In unmittelbarer Folge auf das Nazi-Regime, unter dem er gearbeitet hatte, stand für die neuen Machthaber jede Möglichkeit offen, besonders eben die Befragung von Zeitgenossen, seine Vergangenheit zu untersuchen. Man darf wohl annehmen, dass sie das getan haben, bevor sie Linse mit den obigen sensiblen Ämtern betrauten.

Im Jahre der Gründung der DDR fliehen Walter und Helga Linse nach West-Berlin. Später wird Linse beim Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ) eingestellt. Wieder gibt es keine Andeutung irgendwelchen schuldhaften Verhaltens durch Linse in der Nazi-Zeit. Im Gegenteil:  Ein Chemnitzer Herr B. schreibt an den UfJ von der Unterstützung seines Geschäftes durch Linse, während B. bei der Gestapo inhaftiert war. Dieser Herr berichtete auch von Linse's Mitgliedschaft bei Ciphero.

Beim UfJ ist Dr. Linse 1951/52 an der Planung eines ersten Internationalen Juristen-Kongresses beteiligt, der die Rechtslage in der DDR/SBZ beleuchten soll. Aus diesem Kongress entsteht die International Commission of Jurists (ICJ), die sich weltweit mit Menschenrechten, Recht und Gerechtigkeit befasst. Sie besteht noch heute. Es ist undenkbar, dass Linse ein Nazi-Täter war und dann unangefochten solch eine öffentliche, internationale Rolle ausüben konnte. Die Wunden vom Naziterror waren damals noch frisch. Für überlebende oder geflüchtete Opfer war Linse damals erkennbar und er hätte angeklagt werden können. Das ist nicht geschehen.

Am 8. Juli 1952 wurde Dr. Walter Linse gewaltsam aus West-Berlin entführt und er verschwand für immer. Dadurch wurde er nochmals weltweit bekannt. Wieder gab es keinerlei Proteste gegen Dr. Linse wegen seiner Tätigkeit bei der "Entjudung der Deutschen Wirtschaft", oder seiner Rolle als "Nazi". Im Gegenteil, es kamen zwei für ihn positive Bewertungen:

Im Herbst des gleichen Jahres schreibt Horst Lantzsch (ein Chemnitzer Bekannter von Dr.Linse und Herrn Ascher) nach Linses gewaltsamer Entführung an Dr. Adenauer:

“…Mit Unterstützung von Dr. Linse, der sich … massgebend dafür einsetzte, war es möglich, meinen Freund Ascher [1939] aus dem KZ-Lager herauszuholen. .... Ein Mensch [Linse] mit einer solch anständigen Gesinnung gehört nicht ins Gefängnis......Ich bin j ederzeit bereit Vorstehendes eidesstattlich zu bekräftigen. Ich lebe heute mit meinem [Jugend-] Freunde Ascher hier in Manchester [New Hampshire, USA] zusammen und es wäre für uns die schönste Nachricht, wenn wir erfahren würden, dass Dr. Linse wieder frei ist. Hochachtungsvoll !          

gez. Horst B. Lantzsch."

Weitere zehn Jahre später (1963) war Linse längst aus den Schlagzeilen der Welt verschwunden, sein Schicksal (1953 ermordet in Moskau) noch unbekannt. Verschwunden, aber nicht vergessen. Auch nicht von Alfred Ascher, dem jüdischen Geschäftsmann aus Chemnitz. (Kapitel 1 und 2)  In einem Zeitungsinterview in USA erzählt er von der Kristallnacht, Buchenwald, der Flucht aus Deutschland und Linse's Hilfe. Darin bezeugt Herr Ascher:

“Fortunately, Linse was an avowed anti-Nazi”
Zum Glück war Linse ein überzeugter Nazi-Gegner

Dank gebührt vielen Menschen, die sich für den Fall Linse interessieren; auch Herrn Dr. Benno Kirsch, der zuerst (2007) und fair über Linse's Wirken bei der IHK berichtet und Dokumente gesucht, gefunden, und sie mit mir diskutiert hat. Trotzdem sehen wir Linse unterschiedlich - für Kirsch hat er "mitgemacht", war er "verstrickt" in das Nazi-Unrecht, hätte sich diesem entziehen müssen. "Entziehen" aber bedeutet für mich, dem Unglück freien Lauf zu lassen. Dr. Walter Linse hingegen hat mutig versucht, Fairness und Vernunft  walten zu lassen, im Widerspruch zu Nazi-Dogma und -Willkür.

Leider hat sich der Unterschied in unseren Beurteilungen von Linse vertieft, sodass ich nicht mehr zu Dr. Kirsch's Schlussfolgerungen von 2017 stehen kann.

Peter Seifert